Lyrik aus dem Alltag

Walter Braun
1 Lyrik aus dem Alltag - Zur Beschreibung der menschlichen Vielfalt

1.1 Besprechung mit mir selbst - Wie alles anfing

Dass gelegentlich Auszeiten zu Gedichten führen, mag nicht überraschen. Dass sie zu neuen Erkenntnissen führen, wohl auch nicht. Dass beides jedoch voneinander profitiert, schon eher und: lesen Sie in diesem Buch.

Das Ganze fing an mit einem Ritual, das mir im Laufe der Jahre lieb geworden ist: drei Stunden persönliche Zeit pro Woche zum ungebundenen Spielen mit Gedanken und Ereignissen in meiner Wahrnehmungswelt. Mehr Raum und Zeit erhalten sollten so politisches Geschehen, soziale Beziehungen, Entscheidungen, Ansichten und persönliche Haltungen. Themen, die mir im beruflichen und gesellschaftlichen Funktionieren abhandenzukommen drohten. Reflexion meiner selbst willen könnte man auch dazu sagen. Da ich mich einigermaßen gut auskenne mit Strategien der Selbstführung, nutze ich bis heute bei diesen Sitzungen mit mir selbst die Techniken des Zwiegesprächs im Rahmen des Inneren Dialogs oder auch Disputationen mit imaginierten Personen aus meinem sozialen Umfeld.

Eher zufällig stieß ich bei einer dieser Auszeiten auf die Technik des Reimens und spürte dabei, dass der Rhythmus der Sätze auch den Rhythmus des Denkens in Schwung bringt. Mit dem ersten Vierzeiler wurde mir klar, dass die Melodie der Sprache unbewusst Worte zu Sätzen formt, die die innere Haltung dazu verklausuliert ausdrücken.

Die Außenwendung des Inneren erfolgt unmittelbar und ohne Umschweife. Sie stellt gewissermaßen die Blaupause der Seele dar. Der Rhythmus bringt das Unbewusste zum Klingen und nimmt der Verdrängung die Maske ab. Damit drücken Verse im Grunde immer auch einige Facetten der Persönlichkeit aus. Lyrik und Psychologie verbinde ich zu einem Strauß Persönlichkeitscoaching. Die Gedichte öffnen einen kleinen Türspalt der Besenkammer der Seele und werfen etwas Licht auf das Weggesperrte.  Seit 2013 schmücke ich meine persönlichen Ruhezeiten ziemlich oft mit Versen. Mal folgen sie thematischen Reflexionen und mal umgekehrt. Die Gedichte in diesem Buch resultieren überwiegend aus diesen Besprechungen mit mir selbst.

 

1.2 Der Mensch, das Maß der Vielfalt

Rund 170 Gedichte aus dem Alltag und als Interpretationshilfe dafür, die vielfältigen Optionen, Verhaltensweisen, Überzeugungen und versteckten Motive von Menschen zu verstehen und einzuordnen. Einzuordnen in die Welt von Beweggründen und Eigenheiten des „Mängelwesens“ Mensch.

Mängelwesen nicht im biologisch-anthropologischen Sinne Gehlens als nachrangige Spezies unter den Lebewesen, sondern als psychologisches Konstrukt, das ihn irren, korrigieren, rational und zugleich irrational handeln und letztlich in seiner eigenen Wahrheit bestehen lässt. Dass diese Wahrheit nicht immer angemessen, oft gar töricht und gefährlich sein kann, ist die logische Konsequenz daraus.

 

1.3 Lyrik als Brücke zum Verstehen

Die Kunstform der Lyrik schafft die Möglichkeit, das „Dahinterliegende“ im Verhalten zu erahnen – oder den Menschen in seiner doppelten Vielfalt zu verstehen, nämlich phänotypisch und psychologisch. Wie er also einerseits faktisch von außen betrachtet wahrnehmbar und wie er andererseits in seinem Inneren vermutlich gestrickt ist.

Damit öffnen sich beim Betrachten und Interpretieren von Verhalten beliebig wechselbare Perspektiven, die die persönliche Auslegung der Gedichte verkörpern.

Diese Form der Lyrik, gelegentlich auch Gebrauchslyrik genannt, übersetzt reale Anlässe ohne Umschweife in bewertende Aussagen. Damit bieten sie einen unmittelbaren Gebrauch und Nutzen für die Rezipienten. Sie folgen einer Sachlichkeit, wie man sie schon von Ringelnatz, Kästner oder Brecht kennt.

Um nicht den Eindruck zu erwecken, in die Nähe der Wort- und Dichtkunst dieser Meister der Deutschen Literatur geraten zu wollen, versuche ich es erst gar nicht, poetische Punktlandungen ohne allegorische Umwege zu schaffen. Mein Schreibstil ist eher szenisch illustrierend als faktisch pointiert. Die bildhafte und über den Wortsinn hinausgehende Bedeutung verziert die direkte Aussage und trägt dazu bei, die Deutungshoheit bei Ihnen zu belassen.

 

1.4 Geschichten zum freien Gebrauch

Den Gedichten unterlege ich den Sinn des Lebens, wie er mir erscheint. So beschreiben sie eine Spielwiese der persönlichen Betroffenheit: ohne Gefühle zu verletzen, Nonsens im Wortspiel zu genießen und Sinnlichkeit oder Exzess schamfrei auszuleben. Ihnen, liebe Leserinnen und Leser, überlasse ich es, sie in Ihr Verständnis zu übersetzen und aus der Vielfalt der möglichen Sichtweisen Ihre und nicht meine als relevant zu betrachten.

Schon während meines Psychologiestudiums und später in der Hochschullehre und psychologischen Praxis, war es mir eine Herzensangelegenheit, über Erzählungen Komplexität zu reduzieren beziehungsweise sie verstehbar zu machen. Der Olymp der Komplexität ist der Mensch – in seiner Maskerade und in seiner realen Liebenswürdigkeit.

Erzählungen bzw. Narrative verschaffen dem vielfältigen, gelegentlich wirren und irgendwie doch strukturierten Dasein Form und Idee. Sie rücken den großen Überbau eines Lebens in Gemeinschaft aus der philosophischen Betrachtung in die Niederungen des praktischen Alltags. Das zumindest ist mein Wunsch und mir scheint, Lyrik und Psychologie erleichtern mir dieses Unterfangen.

So liegen allen lyrisch beschriebenen Geschichten reale Begegnungen mit mir – als Coach oder Privatperson – vertrauten Menschen, meine ureigenste Haltung zur Spezies Mensch als soziales Wesen oder meine direkte Betroffenheit zugrunde. Mal werden Appelle hörbar, mal Glaubenssätze, mal wird es sarkastisch und mal träumerisch und gelegentlich bitterböse. Jeder Reim ist aber ehrlich und jedes meiner Gedichte hat eine Entsprechung in meinem beruflichen oder privaten Leben.

 

1.5 Der Vorhang zieht auf

Sie, liebe Leserinnen und Leser, nehmen gewissermaßen Teil an meinem Leben.

Die gereimten Erzählungen handeln von Gebrochenen und Diskriminierten, von Egomanen und Potentaten, von Wahrhaftigkeit und eitler Gefallsucht, von Einfalt und Vielfalt, von Spaß am Reim, von Griesgramen und dem Lebensende.

Sie werden erleben, Lyrik lässt Individualität zu und schmerzfrei weit die Seele öffnen, ohne sich zur Schau zu stellen oder Grenzen zu verletzen.

Sie werden sich nun fragen: Können Gedichte psychologisch die Welt erklären und sollten dafür nicht eher Lehrbücher herhalten? Ja, zur Lehre gibt es die Wissenschaft und ihre Schriften! Gedichte regen aber den Geist an, hinter die Worte zu schauen und so einen kleinen Teil des Menschseins besser zu verstehen, zu erklären und vielleicht bei sich zu erkennen. Dafür möchte ich Ihnen ein Feld zum semantischen Experimentieren schaffen. 

Tauchen Sie ein in das Spiel mit den Worten und lassen Sie Ihrem Sentiment freien Lauf auf der Reise durch das Abenteuerland Mensch.

Fragen Sie sich zum Beispiel: „Was teile ich von dem Textinhalt und was nicht?“ Aufbauend darauf könnten Sie weiter reflektieren, warum sie so oder eben anders den Text verstehen. Mit „Was wären alternative Sichtweisen?“ würden Sie dann Ihre Gedanken und ersten Antworten inhaltlich ausweiten oder vertiefen. Was auch immer Sie für Fragen stellen: sie passen!

Im Grunde können Sie den Text auch aus den verschiedensten Perspektiven betrachten: aus der eigenen, aus der einer vertrauten Person oder auch reflektieren, was von mir, dem Autor, darin erkennbar wird. Weil die Ergebnisse des Nachsinnens von Ihrer Art zu denken und zu fühlen beeinflusst werden, erfahren Sie dabei auch etwas über sich – vielleicht sogar etwas, was sie so noch gar nicht gesehen haben.

Viel Spaß beim Entdecken!

 

Walter Braun

Weyher, im Frühjahr in der Südpfalz 2023

 

 

 


 

 

 


 



 

Neuen Kommentar schreiben

(If you're a human, don't change the following field)
Your first name.
(If you're a human, don't change the following field)
Your first name.
(If you're a human, don't change the following field)
Your first name.

Plain text

  • Keine HTML-Tags erlaubt.
  • Internet- und E-Mail-Adressen werden automatisch umgewandelt.
  • HTML - Zeilenumbrüche und Absätze werden automatisch erzeugt.