Im gegenwärtigen Übergang von analogen in digitale Geschäftslogiken stehen eingefahrene Gewohnheiten mehr denn je Umbruch und Anpassung im Wege. Jahrelang bewährte Routinen helfen nicht mehr weiter, weil komplexe Situationen neues Denken erfordern. Nicht mehr Wenn-dann-Logiken sind die Lösungsfavoriten, sondern unkonventionelles, systemisches Denken und Handeln. Dem jedoch stehen menschliche Denkfehler und Denkmechanismen gegenüber, die der Besonderheit der menschlichen Informationsverarbeitung geschuldet sind - unabhängig von Geschlecht, Intelligenz oder Alter.
Vieles mit Vielem verknüpfen zwingt zum Umdenken
Führungskräfte haben auf mehreren externen und internen Ebenen mit Komplexität zu tun. Die externen Abhängigkeiten von Produkten und Dienstleistungen resultieren aus unvorhersehbaren Sonderwünschen der Kunden, aggressivem Verhalten von Wettbewerbern, technologischem Wandel oder gesetzlichen Rahmenbedingungen. Hinzu kommt, dass Entscheidungen in steter Wechselwirkung zueinander stehen und in ihren systemischen Auswirkungen unbeabsichtigte Nebenwirkungen verursachen. Wenn etwa der Geschäftsführer trotz schwacher Ertragslage offensive Positionierungskampagnen zum Turnaround startet, kann das von der kapitalstarken Konkurrenz mit noch aggressiveren beantwortet werden und sein Unternehmen in eine Liquiditätskrise stürzen. Oder wenn Autobauer fest verwurzelt in ihrer Ingenieurskunst neue Antriebstechnologien halbherzig in tradierten Entwicklungszeiträumen erforschen, verkennen sie die exponentielle Dynamik technologischer Entwicklungen: Waren in der old economy noch fünf Jahre bis zum start of production üblich, sind es heute sechs Monate. Branchenfremde Wettbewerber wie Google, Tesla oder die Deutsche Post bauen plötzlich Autos. Sharingeconomy und autonomes Fahren sind heute Optionen, die morgen schon wieder obsolet sein können. Gewiss ist nur das Ungewisse.
Die internen Abhängigkeiten eines Unternehmens stehen ebenso in komplexen, wechselseitigen Bedingungsgefügen: Kulturelle Besonderheiten der Zusammenarbeit, individuelle Vorlieben in der Kommunikation, heimliche Bedürfnisse und strategische Absichten treiben Entscheidungen einer Führungskraft mit großer Macht aus der objektiven in die subjektive Ebene. So mag etwa das glänzende Qualifikationsprofil eines Bewerbers die Einstellung und eine außergewöhnliche hohe Dotierung begründen, um die Marktmacht des Unternehmens langfristig zu sichern. Dass aber seine menschliche Eigenheiten in der Abteilung zu beträchtlichen Produktivitätsproblemen in der Zusammenarbeit führen, wurde nicht in Erwägung gezogen. Wer seine Führungskräfte mit zwar kreativ betitelten, aber gestrigen Führungsmodellen oder Analogien aus Militär, Raumfahrt, Klerus oder Tierwelt auf die Zukunft vorbereitet, dilettiert im Add-on-Modus der Vergangenheit. Er verkennt, dass vielleicht die alten Strukturen und Hierarchien für die neuen Anforderungen dysfunktional sind und umformatiert werden müssen. Neues ist immer der Feind des Alten und wird im Zweifel der Besitzstandswahrung geopfert.
Im rasanten Wandel der Wirtschaft wird Komplexität für nahezu jede Führungskraft heute zum Normalfall. Das zwingt sie zum radikalen Bruch mit ihrer Denkgewohnheit
Komplexität verführt zur Vereinfachung
Die meisten Entscheidungen sind zu komplex, als dass man sie mit kühler Rationalität treffen könnte. Man denke nur an weitreichende Überlegungen wie Jobwechsel, Hausbau, Investitionen: Hier mögen zwar ein paar rationale Gründe Anlass zum Entscheiden geben, dessen Prozess wird jedoch hauptsächlich von Stimmungen, Bedürfnissen und Denkweisen vorangetrieben. Das Affektive übertrifft im Führungsalltag das Kognitive. Intuitiv wehrt sich das Unbewusste gegen affektive, emotionale Entscheidungen und sucht nach Auswegen.
In Situationen und insbesondere bei schwierigen Fragestellungen konstruieren die Akteure vereinfachte Modelle der Komplexität, um subjektiv handlungsfähig zu bleiben und ihr Kompetenzgefühl zu schützen. Solche Vereinfachungen führen jedoch keineswegs zu guten Ergebnissen. Oft resultieren daraus Schnellschüsse, die eine Kette weiterer Denk-, Planungs- und Handlungsfehler verursachen.
Die psychologische Tragik der Vereinfachung
Es ist eine menschlich nachvollziehbare Reaktion, Komplexität reduzieren bzw. vereinfachen zu wollen. Und darin liegt ein kardinaler Denkfehler: Komplexität lässt sich nicht reduzieren. Man muss sie annehmen und verstehen lernen. Mit Vereinfachungen riskiert eine Führungskraft, die wechselseitigen Abhängigkeiten, Neben-, Fern- und Rückwirkungen seiner Aufgaben und Entscheidungen zu übersehen.
Darüber hinaus verursacht eine Komplexitätsreduzierung typische Fehler im Umgang mit schwierigen Situationen. etwa, dass die vielfältigen Ursachen und Merkmale eines Problems auf ein zentrales reduziert wird („Typisch, bei dem geringen Budget, musste das ja schief gehen!“) und der meist selbst auferlegte Zwang, nach einer schnellen Lösung zu suchen, verkürzt die umfassende Analyse des Problems und seiner Fragestellungen. Fortlaufende Korrekturen von Entscheidungen sind die logische Folge.
Wer dieser Tragik entkommen und sein Denken zukunftsfähig ausrichten möchte, kommt an einer kritischen Reflexion des fehleranfälligen Denkstils, der Interaktion mit anderen und der bevorzugten Methoden nicht vorbei.
Fehlerteufel im Aktionsmodus
Immer wieder kümmern sich Menschen auch gerne um naheliegende, leicht veränderbare Teilprobleme. Mit großem Eifer löschen sie kleine Feuer. Damit erhalten sie ihr Gefühl, kompetent zu sein. Ihr Umfeld nimmt wahr, es geschieht etwas. Dass Verzettelung stattfindet und zentrale Problemaspekte übersehen werden, sind zwangsläufig die Folgen eines solchen „Reparaturdienstprinzips“.
Neben vereinfachten mentalen Modellen schlägt der Fehlerteufel auch auf der Ebene der menschlichen Motive zu. Das Bedürfnis, Kontrolle über eine Situation zu haben und kompetent zu sein, befriedigen Menschen auf unterschiedliche Weise:
Mit Kenntnis, Selbstmotivation und Wille dagegen halten
Individuelle mentale Modelle und menschliche Motive geben dem Fehlerteufel nicht unausweichlich freie Fahrt. Sein Unwesen kann man mit der Kenntnis über Denkfehler und aktiver Willenskraft einfangen. Scheitern ist nicht unausweichlich. Wer sich beispielsweise konkrete Verhaltensweisen zur Überwindung typischer Denkfallen vornimmt, erkennt frühzeitig ihr Erscheinen, steuert dagegen und emanzipiert sich von ihnen. Auch ein verinnerlichtes Set von Absichten und Vornahmen hilft, komplexen Situationen proaktiv gerecht zu werden. Etwa:
Sensibilisiert für ein „richtiges“ Denken wird man auch, wenn man Verlaufsprotokolle erstellt, Zusammenhänge als Netzbild visualisiert und im Computer Entscheidungsalternativen simuliert. Auch wenn solche Vorgehensweisen noch ungewöhnlich sind, sie sind leicht einzuüben. Und: Sie helfen, Einsicht in die Unwägbarkeiten des menschlichen Denkens zu gewinnen und Fehlerquellen zu eliminieren – zumindest einige. Potenzielles Misslingen und Störungen werden in den Handlungskonzepten nicht ausgeklammert, sondern einbezogen. So lernen Führungskräfte, Unsicherheit in Kauf zu nehmen und gleichzeitig Vertrauen in ihre Handlungskompetenz aufzubauen.
Auch wenn einem der Verstand heilig ist, seine Fehleranfälligkeit ist die Grundlage der Gescheitheit seines Nutzers. Vorausgesetzt: er reflektiert sein Denken und lernt daraus.
„Das sind die Weisen, die durch Irrtum zur Wahrheit reisen. Die bei dem Irrtum verharren, das sind die Narren“ (F. Rückert, 1788 – 1866)
Kommentare
Wolf Klein
4. Juli 2018 - 16:46
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Die Rechthaberei und der
Die Rechthaberei und der Narzissmus unserer Eliten in Wirtschaft und Politik kennen nur Richtig. Falsch ist schlicht nicht vorgesehen. Wer nur Richtig kennt, lebt unbeeindruckt von abweichenden Meinungen.
MoZeh
5. Juli 2018 - 16:10
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PE muss Reflektion ermöglichen
Wer auch nur ein wenig von der Begrenztheit des Denkens ausgeht, kommt nicht daran vorbei: Scheitern ist möglich. Wer jedoch weiter der Illusion anhängt, dass man nur wirklich etwas wollen muss, um Erfolg zu haben, der reiht sich in die Tschakka-Irren ein. Unsere PE ist so angelegt, dass die Mitarbeiter zum Widerspruch ermutigt werden und ihre Denkgewohnheiten reflektieren können.
Jo Krämer
10. Juli 2018 - 14:52
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Eigennutz treibt so manchen
Eigennutz treibt so manchen in die Denkfalle "Jetzt". Der Köder, den Ergebnisbeitrag mit Sonderschichten zu sichern, vernebelt den Blick auf Mitarbeiterausbeutung und Demotivation mit all ihren negativen Folgen.
Wildert Smetana
10. Juli 2018 - 15:04
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Alter Verkäufertrick: setze
Alter Verkäufertrick: setze den Preis sehr hoch an, damit er als Anker etwas billigere Produkte als "Schnäppchen" erscheinen lässt. Wir lassen uns gerne von sogenannten Benchmarks leiten und übersehen deren Angemessenheit. Wenn jeder von agilem Führen spricht, ist es keineswegs für jeden Betrieb sinnvoll.
Michael Brunner
11. Juli 2018 - 12:09
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Manager managen und kreisen
Manager managen und kreisen um sich selbst. Wo soll da ein Bewusstsein für den Irrtum entstehen? Junge und weitestgehend hierarchiearme Unternehmen kommen sehr gut ohne die Besserwisserkaste aus. Bleibt nur zu hoffen, dass sich über die Zeit das erhält.
Svenja Kollik
16. Juli 2018 - 11:09
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Gewohnheiten haben eine lange
Gewohnheiten haben eine lange Tradition und sind aus anfangs sinnvollen Verhaltensweisen entstanden. Wer immer am selben Ort urlaubt, die Tageszeitung nur beim Frühstück liest oder den Bleistift stets parallel zur Schreibtischunterlage ablegt, braucht seine Ordnung und betrachtet Veränderung als Teufelszeug. Wie soll ein solcher Mensch mit Arbeit 4.0 fertigwerden?
Horst Schweizer
24. Juli 2018 - 15:25
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Mit menschlichen Denkfehlern
Mit menschlichen Denkfehlern kann man gut klarkommen, wenn die Folgen von Entscheidungen belanglos sind. Bei Folgenreichen aber sind drei und mehr Meinungen hilfreich. Die "Weisheit der Vielen" hilft nicht nur Denkfehler auszugleichen, sondern auch Erfahrungen zu teilen, die sonst verloren gingen. Wol ist ein sehr gutes Gruppenformat, um das zu ermöglichen.Wir tauschen uns jeden 1.Freitag im Monat über unsere individuellen Sichtweisen zu unserer Situation aus. Das korrigiertest manche "Dummheit".
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